Ausgangslage

Hydrologische Situation im Engadin

Das Oberengadin bildet ein einmaliges Gewässersystem im Alpenraum, das sich in den oberen Abschnitt der Seenlandschaften und den unteren Abschnitt mit dem Inn samt seinen zahlreichen Zuflüssen und Auengebieten unterteilen lässt. Hier befindet sich beispielsweise die höchstgelegene Äschenpopulation Europas, die einzige im Einzugsgebiet der Donau. Dieses wertvolle und empfindliche ökologische System gilt es vor Einflüssen der Zivilisation zu schützen. Dies liegt auch im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung des Oberengadins, denn unsere Gäste legen je länger, je mehr Wert auf eine intakte Natur.

Hauptprobleme des Gewässerschutzes im Oberengadin:

  • Gefällsverhältnisse und Verbauungen im Inn
  • geringe Restwassermengen infolge Wasserkraftnutzung und Hochwasserschutzmassnahmen
  • sehr starke und schwankende Abwasserfrachten aus den Siedlungen; insbesondere in Zeiten niedriger Temperaturen und tiefer Wasserführung
  • ungenügende Nitrifikation in den drei bestehenden ARAs (Nitrifikation ist die biologische Umwandlung des aus dem Urin stammenden und für Fische giftigen Ammoniums in ungiftiges Nitrat)

 

Entwicklung der Abwasserreinigung im Oberengadin

Als die ARAs Staz, Sax und Furnatsch gebaut wurden, ging es in erster Linie darum, das Abwasser von organischen Stoffen zu befreien. Später wurden die ARAs mit einer chemischen Stufe erweitert, die auch den Düngestoff Phosphor aus dem Abwasser entfernt. Die bestehenden ARAs können die Anforderungen betreffend Nitrifikation heute nicht oder nur teilweise erfüllen. Mit der neuen ARA müssen aus dem Abwasser neben den organischen Abwasserinhaltsstoffen – Seifen, Fäkalien und dergleichen – und dem Phosphor auch die Stickstoffkomponenten entfernt oder zumindest entgiftet werden (Denitrifikation bedeutet die Umwandlung des in der Nitrifikation entstehenden Nitratstickstoffes in Luftstickstoff). Die neue ARA ist so ausgelegt, dass sie der von den Menschen im Einzugsgebiet verursachten Verschmutzung zu jeder Zeit gewachsen ist (saisonale Schwankungen in einem Tourismusgebiet). Dazu gehört auch der Schmutzwasseranfall von Gewerbe und touristischen Einrichtungen.

Die ARAs Staz, Sax und Furnatsch umfassen heute zusammen eine Ausbaugrösse von 114’000 Einwohnerwerten (EW). Die künftige ARA Oberengadin ist, wie unter Ausbaugrösse aufgeführt, auf 90’000 EW ausgelegt. Dies ist möglich, da erstens 2009 der Hauptsammelkanal von Samedan bis S-chanf in Betrieb genommen worden ist, mit dem der Inn von Abwasser und gereinigtem Abwasser weitgehend befreit wurde. Zweitens weil seit der Inbetriebnahme der ARAs die betroffenen Gemeinden ihre Kanalisationssysteme erweitert und erneuert haben. Dabei wurde auch auf eine konsequente Trennung von Meteorwasser (Regen, Schmelzwasser) vom verschmutzten Abwasser geachtet, was zu einer Reduktion der Abwassermengen führte. Diese Bestrebungen werden auch während der kommenden Jahre weitergeführt, so dass mit einer weiteren Abnahme des zu reinigenden Abwassers gerechnet werden darf. Im Gegenzug werden sich die Abwasserfrachten – d.h. die Verunreinigung pro Kubikmeter (kg/m3), bzw. die Konzentration der Verunreinigung – erhöhen. Da die neue ARA Oberengadin modular aufgebaut wird, kann sie jederzeit auf mehr Einwohnerwerte ausgelegt oder an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.

Die bestehenden ARAs Staz, Sax und Furnatsch wurden in den 70er-, resp. 80er-Jahren gebaut. Sie können die gesetzlichen Anforderungen an die Qualität des gereinigten Abwassers insbesondere in Bezug auf den Stickstoff (Nitrifikation) nur teilweise erfüllen, da sie nicht dafür konzipiert wurden. Das bedeutet, dass die Immissionsanforderungen bei einer direkten Einleitung des gereinigten Abwassers in den Inn nicht eingehalten werden könnten. Insbesondere gilt dies bezüglich des Ammoniums, das den Fischbestand gefährdet. 

Vergleich Ausbaugrösse regionale ARA Oberengadin zu bestehenden ARAs (Staz, Sax, Furnatsch)

Die neue ARA Oberengadin kann kleiner ausgelegt werden. Dies wegen des Verzögerungseffektes durch den Abwasserkanal von Samedan nach S-chanf, der besseren Trennung von Ab- und Meteorwasser durch die Gemeinden sowie der verbesserten Technik.

Interaktive Karte der Organisation der Abwasserreinigung im Oberengadin

Der Abwasserkanal von Samedan nach S-chanf

Der Auslöser einer gründlichen Überprüfung des bestehenden Kläranlagenkonzepts bildete das Hochwasserschutzprojekt En/Flaz. Im Zuge dieses Projekts musste die Leitung des gereinigten Abwassers ab der ARA Staz bis in den Bereich des neuen Zusammenflusses zwischen Inn und Flaz unterhalb des Flugplatzes Samedan (Gebiet Gravatscha) verlängert werden. Aus dieser Situation heraus entstand die Idee, den Inn bis zu seiner Fassung in S-chanf frei von gereinigtem Abwasser zu gestalten. Was wiederum bedeutet, dass der Abwasserkanal von Gravatscha bis zur Fassung des Inns in S-chanf verlängert werden musste. Dieser Ableitungskanal für das gereinigte Abwasser von Celerina bis S-chanf inkl. der Überleitung in den Freispiegelstollen der Engadiner Kraftwerke konnte 2009 in Betrieb genommen werden. Damit wurde der Inn im unteren Abschnitt des Oberengadins wesentlich entlastet. Zusätzlich konnte auf diese Weise eine Verschärfung der Einleitbedingungen für die drei bestehenden ARAs vermieden werden.

 

Der Betrieb des 16 Kilometer langen Abwasserkanals von Samedan nach S-chanf hat seit dessen Inbetriebnahme 2009 zu keinerlei Problemen geführt. Die Dichtigkeitsprüfungen haben auch im Jahre 2015 keinerlei Mängel zum Vorschein gebracht. Die Umsetzung der ARO-Idee erfolgt in zwei Schritten: In einem ersten Schritt wurde 2009 der Hauptsammelkanal von Samedan bis S-chanf realisiert, mit dem der Inn weitgehend von Abwasser und gereinigtem Abwasser befreit wurde. In einem zweiten Schritt wird nun die zentrale ARA Oberengadin im Gebiet S-chanf erstellt.

Gesetzliche Rahmenbedingungen der Abwasserreinigung

Für die Einleitung des gereinigten Abwassers in den Zulaufkanal der Engadiner Kraftwerke gelten die in der schweizerischen Gewässerschutzverordnung (GSchV, Art.6 Abs. 1 und Anhang 3.1 Abs. 2) genannten Einleitbedingungen. Das heisst: Die Abwasserreinigung hat so zu erfolgen, dass eine ganzjährige Nitrifikation bei einer Abwassertemperatur von mehr als 10° C gewährleistet ist. Die kantonale Behörde (ANU) muss die Einleitbedingungen gemäss GSchV (Art. 6 Abs. 2 und Anhänge 2 und 3.1 Abs. 3) aufgrund der idealen Einleitstelle nicht verschärfen.

Aufgrund der im Einzugsgebiet wohnenden Bevölkerung (15’000 bis 16’000 Einwohner) muss keine Elimination von Mikroverunreinigungen wie Rückstände von Medikamenten, Hormonen etc. erfolgen (GSchV, Art. 6 Abs. 1 und Anhang 3.1 Abs. 2). 

Einleitbedingungen der ARA Oberengadin in den EKW-Kanal

* Mit der neuen Gesetzgebung wurde insbesondere der Ablaufwert für den chemischen Sauerstoffbedarf (CSB) verschärft und neu auf 45 mg/l festgelegt. 

Die neue ARA Oberengadin ist modular aufgebaut und kann daher an wechselnde Bedürfnisse angepasst werden.

Der Abwasserkanal trägt wesentlich zur Verbesserung der Wasserqualität des Inns bei.